»Kriegskinder«

Zeitzeugen berichten

In der Videoinstallation »Kriegskinder« erzählen 8 Neuköllner Zeitzeug*innen von ihrer Kindheit im Jahr 1945

Die Videoinstallation basiert auf den persönlichen Geschichten von betagten Damen und Herren, die nebeneinander wie an einem virtuellen Konferenztisch sitzen. Sie berichten von ihren Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs und den ersten Jahren danach. Im Jahr 1945 sind sie zwischen vier und siebzehn Jahre alt gewesen und erzählen sehr emotional, aber auch manchmal erschreckend nüchtern, unglaubliche Geschichten, die sie als Kinder oder Jugendliche in Berlin erlebt haben. Sie
stehen damit stellvertretend für eine ganze Generation, die mit ihren persönlichen Schicksalen wenig Stimme, wenig Raum im gesellschaftlichen Kontext bekommen haben. Durch die Form der Präsentation wird ein Gefühl der Unmittelbarkeit und der Präsenz erzeugt. Wir hören nur Ausschnitte ihres Lebens, die jedoch durch die Form der Montage eine gemeinsame Narration ergeben. Sie scheinen sich gegenseitig zuzuhören und aufeinander zu reagieren, aber im Wesentlichen richten sich ihre Mitteilungen an die nachfolgende und junge Generation.

11.01.2020 bis 05.04.2020
Ort: Museum Neukölln,
Zeit: täglich 10:00 – 18:00 Uhr
Veranstalter: Museum Neukölln


Neuköllner Straßennamen-Upgrade

Es ergab sich im Jahre 1960, dass ein kleiner Verbindungsweg zwischen der Reuter- und Mainzer Straße einen Namen erhielt. Den merkwürdig klingenden Namen: Sasarsteig[1].

Die Namensgebung soll an die Person „Diederick von Saster“ erinnern. Sein Name wird in der Gründungsurkunde (1360) von „Richardsdorp“ genannt. Er war Komtur der Kommende Tempelhof. Er gehörte dem Johanniterorden an, dem die brandenburgischen Besitztümer des Templerordens übertragen worden waren[2]. Damit hielten sie auch die Herrschaft über den Hof „Richardsdorp“.

Weshalb aus „Saster“ „Sasar“ wurde, ist im Grunde verwunderlich. Phonetisch unterscheiden sich beide Wörter deutlich voneinander. Ursache liegt sehr wahrscheinlich an dem Buch „Die geschichtliche Entwicklung eines Berliner Bezirks“. Darin hat der Autor Johannes Schultze vermutet, dass der Komtur „zu der in der Mark angesessenen Familie von Ziesar, Ziegesar“ gehörte[3]. Ein Nachweis bzw. eine Erklärung führte Schultze jedoch nicht an.

Verwunderlich ist die Interpretation von Schultze auch, weil bereits 1857 Ernst Fidicin[4] in seinem Werk „Geschichte des Kreises Teltow“ schrieb, dass mit dem Namen „Saster“ die Familie Zastrow gemeint sei. Diese Familie bildete das Adelsgeschlecht derer von Zastrow.

Zastrow. Eins der ältesten Geschlechter in Pommern, das auch in der Mark, dann auch in Thüringen zu Cannewurf in der Mitte des 17ten Jahrhund. seßhaft war. Zuerst kommt Claus von Z. zu H. Bogislai III. Zeiten vor. Micräl, altes Pommernland ….
aus: v. Hellbach. Adelslexikon. S. 806


Sie stammt aus der Nähe von Greifswald[5]. Auch die neuzeitliche Forschung bestätigt in Persona von Adriaan von Müller[6] und Clemens Bergstedt[7] die Gleichsetzung zwischen „Saster“ und „Zastrow“.

Autor: W. Schmidt


[1] Lexikon der Berliner Straßennamen Edition Luisenstadt veröffentlicht:
https://berlingeschichte.de/strassen/strassennamen_lexikon_stadtbezirke.html
[2] 1312 wurde der Templerorden durch den damaligen Papst Clemens V. aufgelöst („Vox in excelso“). Hintergrund ist eine spannende Geschichte von Intrigen und Ränkespiele im Spätmittelalter.
[3] Schultze, Johannes. Rixdorf – Neukölln. Berlin 1960. S. 240
[4] Fidicin, Ernst. Geschichte des Kreises Teltow. 1857 (Nachd. 2014)
[5] Siebmacher, J. Großes und allgemeines Wappenbuch. 1878, Nürnberg. S. 464
[6] Müller, Adriaan von. Edelmann … Bürger, Bauer, Bettelmann. Berlin 1981. S. 294
[7] Bergstedt ist Leiter des Museums für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters auf der Bischofsresidenz Burg Ziesar

Fotografien der Verfolgung der Juden. Die Niederlande 1940–1945

Die Topographie des Terrors ist der authentische Gedenkort des Naziterrors in Berlin. Auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes befinden sich drei Dauerausstellung. Zwei davon befinden sich auf dem Gelände. Eine davon ist ein Rundgang über 15 Stationen. In ihnen werden die Funktionen des Terrorapparates aufgezeigt.

Neben dem Ausstellungsbereich im Freien gibt es die große Ausstellungsfläche im Hause. Dort befindet sich auch der Raum, in dem Sonderausstellungen gezeigt werden. Aktuell wird eine bemerkenswerte Ausstellung präsentiert. Sie wurde vom NIOD Instituut voor Oorlogs-, Holocaust en Genocidestudies in Kooperation mit dem Joods Cultureel Kwartier / Nationaal Holocaust Museum i.o. und der Stiftung Topographie des Terrors erarbeitet.

Die Ausstellung
(c) Jürgen Sendel/Stiftung Topographie des Terrors

Anhand von privaten Fotografien wird die Judenverfolgung in der deutschen Besatzungszeit von 1940-45 dargestellt. Dadurch erhält die Ausstellung eine sehr spezielle Perspektive. Während üblicherweise Geschichte von einer distanzierten, dokumentarischen Position aus beschrieben wird, werden die historischen Ereignisse in den Kontext einer privaten, zivilen Sicht gesetzt. Deswegen überraschen die Bilder, weil sie eine Alltäglichkeit widerspiegeln. Ist man gewohnt den Holocaust in Ausstellungen und Beschreibungen aus deutscher Provenienz mit Bildern der Gewalt, der Erniedrigung und dem Hohn der Täter darzustellen, ist diese Ausstellung durch private Alltäglichkeit geprägt.

junges jüdisches Paar 1942

Bereits das Titelfoto des Flyers verweist auf die alltägliche Sichtweise der Ausstellung. Es zeigt ein jüdisches Paar Arm in Arm auf einem städtischen Platz gehend. Passanten sind im Hintergrund sichtbar und das Pärchen lächelt in die Kamera. Ohne den diskriminierenden Judenstern könnte man in ihnen ein unbeschwertes junges Pärchen im Frieden sehen.
Bild: © Sammlung Joods Historisch Museum


Diese Form der Darstellung erstaunt und macht die Ausstellung so empfehlenswert. Es werden einerseits die historischen Ereignisse dargestellt. Gleichzeitig spiegeln sie den Umgang der niederländischen Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit wider. Somit ist die Ausstellung geeignet, um sich über die Judenverfolgung während der deutschen Besatzungszeit zu informieren. Aber sie ist auch geeignet, um sich mit dem gesellschaftlichen Umgang und Diskurs der niederländischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Der Projektleiter Erik Somers betonte den Wandel in den Niederlanden. Beherrschte jahrzehntelang die Opferrolle den Umgang mit der deutschen Besatzungszeit, so wird das Bild differenzierter. Die Fragestellungen wandeln sich in Richtung nach einer historischen Verantwortung oder der Frage nach Kooperation bis hin zu Kollaboration.

Die Ausstellung geht noch bis zum 13. April 2020. Öffnungszeiten sind zwischen 10:00 und 20:00 Uhr bei freiem Eintritt.

Weitere Informationen zur Ausstellung.

Neben der jüdischen Schule auf dem Hof hinter der Großen Synagoge in Deventer im Osten der Niederlande entsteht dieses Gruppenfoto jüdischer Kinder und Jugendlicher im Alter von vier bis siebzehn Jahren. Das Foto taucht beim Austauschen eines Bilderrahmens im Frühjahr 1998 zufällig auf. Nur ein Kind der Gruppe überlebte den Holocaust.

© 1942 / © Etty Hillesum Centrum, Deventer

Rixdorf – oder was?

Anfang Juli veröffentlichte die BZ einen Artikel zum Wunsch Nord-Neukölln in Rixdorf umzubenennen. Der Tagesspiegel ließ es sich nehmen und nahm diesen Artikel auf und veröffentlichte einen Newsletter-Beitrag. Am Ende dieses Artikels sind beide Dokumente nachgewiesen.

Ich erlaube mir hier meinen Kommentar, den ich an den Tagesspiegel schrieb, einfach zu übernehmen.

Es wirkt absurd. Vor über 100 Jahren wechselte man den Namen, weil Rixdorf den Ruf als „Partymeile“ erhielt – und Schlimmeres. Heute in der Diskussion, dass die Party-Touristen die Straßen „unsicher“ machen, den Namen zu ändern, könnte man so verstehen, dass man den schlechten Ruf wieder haben möchte? Ich hatte das Gefühl, dass es genau das Gegenteil ist, das bezweckt werden soll: Neukölln als einen Bezirk zu betrachten, in dem es sich zu wohnen lohnt und leben lässt. Dies schließt Schlechtes aber auch Gutes ein.

Der Name NEUkölln beinhaltet Neuanfang, etwas anderes neues zu beginnen. Und in der Tat ist dies geschehen. Neukölln ist durch die Einwanderung entstanden. Das alte Richardsdorf (historisch noch nicht einmal Rixdorf) war ein kleines Dörfchen gegründet im Spätmittelalter. Im 30 jährigen Krieg nahezu verwaist. Erst mit den böhmischen Migranten
entwickelte sich der Ort. Im Zuge der Industrialisierung kamen Abertausende von Wirtschaftsflüchtlinge aus den armen östlichen Teilen der preußischen Provinzen darunter auch viele Polen. Es waren so viele Menschen mit anderen Glauben darunter, dass eine erste katholische Kirche in Rixdorf/Neukölln gebaut wurde. Im Zuge der Geschichte entwi-
ckelten sich u. a. neue Schul- und Bildungsformen, neue Wege im Wohnungsbau wurden hier beschritten, um nur ein Paar sehr bekannte Entwicklungen, die in Neukölln ihren Aus gang hatten, zu nennen. Diese Entwicklungen haben Neukölln zu dem gemacht was es heute ist. „Rixdorf“ ist ein Atavismus, an dem man glaubt, um sich eine schöne heile Welt zu träumen. Daher auch der von Ihnen genannte Aspekt (Ihre Zitierung des Herrn Krügers) „Heimat“. Heimat ist ein Gefühl und keine reale oder objektive Größe. Dies wird an Ihrem Beispiel deutlich. Sie zitierten den „70 jährigen“ Herrn Krüger. Sein Geburtsjahr liegt knapp 50 Jahre nach der Umbenennung von Rixdorf/Neukölln. Was hat das mit Realität zu tun? Es ist Gefühl. Um es deutlich zu machen. Ich gestehe jedem dies Gefühl zu.
Aber daraus Realpolitik zu machen, ist fragwürdig.

Mit Namensänderungen ändert sich nichts. Durch Fakten, durch Handeln und Haltung die zukunftsgewandt sind lässt sich etwas verändern. Durch Geschichte, besser aus Geschichte, lässt sich lernen. Das nämlich ein Namenswechsel keine andere Stadt macht.


siehe Kurzinterview mit Beate Mitzscherlich: Berliner Zeitung vom 11.10.2017.
So formuliert sie “ Heimat ist das Refugium, der Fluchtort für Sehnsüchte nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit und Gerechtigkeit“. Weiter moniert sie den Begriff Heimat in der politischen Diskussion: “ Lebenskontexte werden zerstört, Alltagsstrukturen werden eingedampft und dann redet man sich mit Heimatgefühl raus. Es ist der Versuch, die dahinter stehenden Fragen, zum Beispiel nach Gerechtigkeit und Partizipation, weich zu spülen.“


Aus (Nord-)Neukölln soll wieder Rixdorf werden
B.Z. vom 1. Juli 2019


Newsletter des Tagesspiegels vom 3. Juli 2019:
Liebe Nachbarinnen, liebe Nachbarn,

in Rixdorf… äh Nord-Neukölln ist Musike? Wenn es nach dem Neuköllner Heimatverein geht, soll der nördliche Ortsteil wieder Rixdorf heißen, schreibt die „B.Z.“. Die Umbenennung sei für ihn eine „Herzenssache“, zitiert die Zeitung den Vorsitzenden Hilmar Krüger (70). Er spüre einen „allgemeinen Wunsch danach, seiner Herkunft präzise und nachvollziehbar“ Ausdruck geben zu können, begründet Krüger seine Forderung.
Stefan Butt, Archivleiter im Verein „Böhmisches Dorf“, sagte der „B.Z.“, es soll bereits 1987 einen Beschluss zur Rückbenennung in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gegeben haben. Auch 2012, zur 100-Jahrfeier Neuköllns, habe es eine erneute Debatte zum Thema gegeben. Allerdings seien alle Debatten im Sande verlaufen, der Verwaltungsaufwand zur Umbenennung sei schlicht zu hoch.
Also spielt die Musik wohl weiterhin in Nord-Neukölln – auch wenn Rixdorf im allgemeinen Sprachgebrauch weiter üblich ist. Konkret allerdings nur für einen Teil des Ortsteiles, seinen Kern rund um den Richardplatz. Heimatvereinsvorsitzender Krüger sagte, „Rixdorf“ sei für ihn mit Heimat verbunden. Für viele jüngere Neuköllner*innen ist aber vielleicht auch „Neukölln“ längst mit Heimat verbunden.
Madlen Haarbach ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Kritik, Anregungen und Tipps bei Twitter oder per E-Mailin Rixdorf

Newsletter des Tagesspiegels:

Garnisonfriedhof – Friedhofscluster

Der „wandernde“ Friedhof

In Neukölln liegt ein Ort, der viele Facetten der Berliner, wenn nicht gar deutscher Geschichte, widerspiegelt. Auf einer Fläche von ca. 10 ha[i] prallen die gegensätzlichen politischen Strömungen Deutschlands und geschichtlichen Ereignisse seit dem späten 18. Jahr. aufeinander. Die folgende Arbeit will diese Ereignisse aufzeichnen und diesen historischen Ort als einen Erinnerungsort beschreiben, der unserer Erinnerung würdig ist.

Es handelt sich bei diesem Ort, um die Friedhöfe am heutigen Columbiadamm. Ursprünglich ein Massengrab aus der Zeit der Befreiungs-/Freiheitskriege 1813 wurde er zum Gedenkort, später Garnisonfriedhof des Berliner Militärs in verschiedenen Ausprägungen und zur türkischen Begräbnisstätte und nun mehr ziviler Berliner Friedhof. Dabei durchliefen diese Friedhöfe sehr unterschiedliche Phasen deutscher Geschichte und legen Zeugnis über bedeutsame Ereignisse ab. Bedingt durch Entwicklung und Bedeutung des Platzes ist die Bezeichnung von einem Friedhof im Grunde ungenau und man sollte von einem Friedhofscluster sprechen.

In diesem Ort ist bürgerlich-liberale, militaristische, nationalistische, national-chauvinistische Geschichte bis hin zum NS-Größenwahn ablesbar. Immer spiegelt sich der Wahnsinn des Krieges darin wider. Die Arbeit wird diese Strömungen anhand der Entwicklungsstufen dieses Friedhofclusters und deren Hintergründe beschreiben. Sie liefert die Erklärung für die geschichtliche Dimension.