Die erste Wohnung – 1978

.

1978 war es so weit. Ich bezog meine erste eigene Wohnung. Mit geringem Einkommen reichte es nur für eine Kreuzberger Hinterhofwohnung. Dies allein mag jemanden von heute einen Schauer den Rücken runter laufen lassen. Aus heutiger Sicht würde man wahrscheinlich diese Wohnung als menschenunwürdig bezeichnen. Sie gehörte schon damals zu den schlechten Unterkünften, aber galten als bewohnbar. Einige Eigenschaften der Wohnungen kamen sogar häufig vor. Für Altbauwohnungen waren sie fast üblich.

Wie sah diese „Schreckenswohnung“ aus. Das Haus stand in der Dieffenbachstraße in der Nähe des Zickenplatzes. Eine typische bürgerliche Straße aus wilhelminischer Zeit. Noch heute befinden sich an den Häusern die typischen Stuckverzierungen des späten 19. Jahrhunderts. Wie jedes „gute“ Mietshaus gab es einen Seitenflügel und ein Gartenhaus. Dahinter lag eine Remise, die damals wahrscheinlich für Pferde als Unterkunft diente. 1978 hatte es den Charakter eines zugigen Stalles. Es beherbergte jedoch keine Pferde mehr, sondern diente als Wohnung für einen jungen Mann. Von außen gesehen, war das Haus keine Perle der Gründerzeit, es war in die Tage gekommen, wirkte abgenutzt und grau. Die tatsächlichen Schäden blieben unsichtbar.

Wie angedeutet lag die Wohnung nicht in der Bel Etage, aber immerhin im ersten Stock des Gartenhauses. Aber mehr Romantik als „Gartenhaus“ war nicht vorhanden. Über stark ausgetretene Holzstufen mit senilem Treppengelände erreichte man die Wohnung. Ausgestattet mit einem Innenklo war sie nahezu luxuriös. Hier endet jegliche Annehmlichkeit, die wir heutzutage als selbstverständlich ansehen. Das Waschbecken im Klo reichte für eine Hand und hatte natürlich kein warmes Wasser. Selbiges war mit einem 3 l Wasserboiler in der Küche vorhanden. Die Dielen waren angenehm elastisch und erinnerten an weich bemooste Wege.

Die Wohnung bestand aus einem großen Raum, den man durch einen Alkoven betreten konnte. Er hatte selbstverständlich keinen Ofen. Der Kachelofen stand im großen Zimmer. Es hatte zwei große Fenster, die nicht auf eine Häuserfront blicken ließen. Durch die besondere Art des Fenster (einfach Glas) kam nicht nur Licht in das Zimmer. Im Winter 1978/79 gab es hübsche Eisblumen. Zusätzlich froren die Wasserleitungen ein.

Die prägnanteste Eigenart des Hauses war jedoch die nicht Bewohnbarkeit der oberen Stockwerke. Als eine Art Reminiszenz an den Luftkrieg des Zweiten Weltkrieg waren die Wohnungen nicht instand gesetzt worden?!

Dies war alles in einer Zeit, in der Wohnungen in West Berlin Mangelware waren. Eine Phase, in der sich Schlangen an den Telefonzellen am Bahnhof Zoo bildeten, um schnellstmöglich Vermieter anrufen zu können, wenn der Immobilienteil der Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost in den Verkauf kam.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert