Anfang Juli veröffentlichte die BZ einen Artikel zum Wunsch Nord-Neukölln in Rixdorf umzubenennen. Der Tagesspiegel ließ es sich nehmen und nahm diesen Artikel auf und veröffentlichte einen Newsletter-Beitrag. Am Ende dieses Artikels sind beide Dokumente nachgewiesen.
Ich erlaube mir hier meinen Kommentar, den ich an den Tagesspiegel schrieb, einfach zu übernehmen.
Es wirkt absurd. Vor über 100 Jahren wechselte man den Namen, weil Rixdorf den Ruf als „Partymeile“ erhielt – und Schlimmeres. Heute in der Diskussion, dass die Party-Touristen die Straßen „unsicher“ machen, den Namen zu ändern, könnte man so verstehen, dass man den schlechten Ruf wieder haben möchte? Ich hatte das Gefühl, dass es genau das Gegenteil ist, das bezweckt werden soll: Neukölln als einen Bezirk zu betrachten, in dem es sich zu wohnen lohnt und leben lässt. Dies schließt Schlechtes aber auch Gutes ein.
Der Name NEUkölln beinhaltet Neuanfang, etwas anderes neues zu beginnen. Und in der Tat ist dies geschehen. Neukölln ist durch die Einwanderung entstanden. Das alte Richardsdorf (historisch noch nicht einmal Rixdorf) war ein kleines Dörfchen gegründet im Spätmittelalter. Im 30 jährigen Krieg nahezu verwaist. Erst mit den böhmischen Migranten
entwickelte sich der Ort. Im Zuge der Industrialisierung kamen Abertausende von Wirtschaftsflüchtlinge aus den armen östlichen Teilen der preußischen Provinzen darunter auch viele Polen. Es waren so viele Menschen mit anderen Glauben darunter, dass eine erste katholische Kirche in Rixdorf/Neukölln gebaut wurde. Im Zuge der Geschichte entwi-
ckelten sich u. a. neue Schul- und Bildungsformen, neue Wege im Wohnungsbau wurden hier beschritten, um nur ein Paar sehr bekannte Entwicklungen, die in Neukölln ihren Aus gang hatten, zu nennen. Diese Entwicklungen haben Neukölln zu dem gemacht was es heute ist. „Rixdorf“ ist ein Atavismus, an dem man glaubt, um sich eine schöne heile Welt zu träumen. Daher auch der von Ihnen genannte Aspekt (Ihre Zitierung des Herrn Krügers) „Heimat“. Heimat ist ein Gefühl und keine reale oder objektive Größe. Dies wird an Ihrem Beispiel deutlich. Sie zitierten den „70 jährigen“ Herrn Krüger. Sein Geburtsjahr liegt knapp 50 Jahre nach der Umbenennung von Rixdorf/Neukölln. Was hat das mit Realität zu tun? Es ist Gefühl. Um es deutlich zu machen. Ich gestehe jedem dies Gefühl zu.
Aber daraus Realpolitik zu machen, ist fragwürdig.
Mit Namensänderungen ändert sich nichts. Durch Fakten, durch Handeln und Haltung die zukunftsgewandt sind lässt sich etwas verändern. Durch Geschichte, besser aus Geschichte, lässt sich lernen. Das nämlich ein Namenswechsel keine andere Stadt macht.
siehe Kurzinterview mit Beate Mitzscherlich: Berliner Zeitung vom 11.10.2017.
So formuliert sie “ Heimat ist das Refugium, der Fluchtort für Sehnsüchte nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit und Gerechtigkeit“. Weiter moniert sie den Begriff Heimat in der politischen Diskussion: “ Lebenskontexte werden zerstört, Alltagsstrukturen werden eingedampft und dann redet man sich mit Heimatgefühl raus. Es ist der Versuch, die dahinter stehenden Fragen, zum Beispiel nach Gerechtigkeit und Partizipation, weich zu spülen.“
Aus (Nord-)Neukölln soll wieder Rixdorf werden
B.Z. vom 1. Juli 2019
Newsletter des Tagesspiegels vom 3. Juli 2019:
Liebe Nachbarinnen, liebe Nachbarn,
in Rixdorf… äh Nord-Neukölln ist Musike? Wenn es nach dem Neuköllner Heimatverein geht, soll der nördliche Ortsteil wieder Rixdorf heißen, schreibt die „B.Z.“. Die Umbenennung sei für ihn eine „Herzenssache“, zitiert die Zeitung den Vorsitzenden Hilmar Krüger (70). Er spüre einen „allgemeinen Wunsch danach, seiner Herkunft präzise und nachvollziehbar“ Ausdruck geben zu können, begründet Krüger seine Forderung.
Stefan Butt, Archivleiter im Verein „Böhmisches Dorf“, sagte der „B.Z.“, es soll bereits 1987 einen Beschluss zur Rückbenennung in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gegeben haben. Auch 2012, zur 100-Jahrfeier Neuköllns, habe es eine erneute Debatte zum Thema gegeben. Allerdings seien alle Debatten im Sande verlaufen, der Verwaltungsaufwand zur Umbenennung sei schlicht zu hoch.
Also spielt die Musik wohl weiterhin in Nord-Neukölln – auch wenn Rixdorf im allgemeinen Sprachgebrauch weiter üblich ist. Konkret allerdings nur für einen Teil des Ortsteiles, seinen Kern rund um den Richardplatz. Heimatvereinsvorsitzender Krüger sagte, „Rixdorf“ sei für ihn mit Heimat verbunden. Für viele jüngere Neuköllner*innen ist aber vielleicht auch „Neukölln“ längst mit Heimat verbunden.
Madlen Haarbach ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Kritik, Anregungen und Tipps bei Twitter oder per E-Mailin Rixdorf
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