Die Lazarette und die Opfer
Zusätzlich zu den soldatischen Opfern muss ausdrücklich das medizinische und pflegerische Personal genannt werden. Die hygienischen Zustände waren so katastrophal, dass auch sie unter der Not und dem Tod litten. Es fehlte an Räumlichkeiten, Verbandsstoff, Medizin und Personal. So wurden Kasernen in Notlazarette umgewandelt und Privatquartiere zur Pflege organisiert. Zumeist Bürgerinnen organisierten Hilfen, um Geldspenden, Nahrung, Kleidung und Verbandsstoffe zu bekommen. Sie pflegten die Verletzten in den Lazaretten. Die ärztliche Versorgung war mangelhaft. Die Militär- und Zivilverwaltung war für solche Aufgaben nicht vorbereitet. Darüber legen Zeitungsberichte und Hilfsgesuche der zeitgenössischen Publikationen eindeutiges Zeugnis ab[i]. Bedingt durch diese Masse an Verwundeten und unzureichender Hilfe kam es zum Ausbruch des sogenannten Lazarett-Fiebers[ii]. Ursächlich war die vorherrschende mangelhafte Hygiene, die seuchenartig um sich griff. Krankheiten, die sich heutzutage keiner mehr vorstellen kann, grassierten und machten kein Halt vor dem medizinischen und pflegerischen Personal. So kam es auch unter ihnen zu Opfern[iii].
So wie die Krankenversorgung mit den Missständen überfordert
war, so war es erst recht die Friedhofsverwaltung. An eine reguläre
Beerdigung war nicht zu denken. Die Berliner Friedhöfe waren viel zu klein, um
die Massen an Toten aufzunehmen. Außerdem wäre das Friedhofspersonal
organisatorisch überfordert gewesen. Somit blieb nur die Lösung von
Massengräbern.
[i] In der „Spenerschen“ wurde in fasst jeder Ausgabe Spendenaufrufe und Danksagungen veröffentlicht.
[ii] Lazarett-Fieber ist eine Mischung von bakterieller Entzündung, Eiterungen und faulenden Wunden mit Thyphus. Ursächlich unbeschreibliche hygienische Verhältnisse. Bereits wenige Monate nach diesen schrecklichen Zuständen wurden Bücher darüber veröffentlicht. Z. B.: Für jeden verständliche Anweisung, wie man es anzufangen habe, um bey bösartigen Fieber-Epidemien aller Art sich gegen Ansteckung zu schützen; Gilbert, Ludwig W.; Leipzig, Wien; 1814
[iii] In der „Spenerschen“ wurden im Januar 1814 mehrere Sterbeanzeige verstorbener Milittärärzte veröffentlicht.
In Auflistungen über verstorbene Verwundete aus den Sommermonaten 1813 wird das Lazarett am Schlesischen Tor als das französische Lazarett bezeichnet[i]. Deshalb ist es begründet anzunehmen, dass dort französische Soldaten und evtl. Soldaten der französischen Verbündeten aus dem Russland-Feldzug behandelt wurden. Das Lazarett wurde auch im Anschluss an die Schlacht vor Berlin weiter betrieben. Weitere nachgewiesene Lazarette befanden sich in der Husaren-Kaserne[ii] am späteren „Belle-Alliance-Platz“ und am Halleschen Tor. Zusätzlich wurde ein Lazarett in der Artillerie-Kaserne in der Münzstraße[iii] eingerichtet. Diese Lazarette sind durch die Begräbnisliste des Jagdaufsehers Christoph nachgewiesen[iv]. Zusätzliche Lazarette wurden in Kasernen untergebracht.
Aus diesen Lazaretten wurden die Toten tagesweise, so kann man es den Statistiken des Forstaufsehers Christoph entnehmen, zu den Orten der Massengräber transportiert. Dabei wurde, um die Beerdigung von Scheintoten zu vermeiden, ein leitender Arzt aus den Lazaretten bestimmt, das Ableben zu überprüfen. Nach Bestätigung des Todes erhielt der Leichnam ein Wachssiegel auf die Brust und war damit für die Beerdigung freigegeben. Eine Bestätigung für dieses Verfahren ist dem Umstand zu verdanken, dass vom verantwortlichen Berliner Lazarettdirektor für 2 Thaler Siegellack gekauft wurde[v].
Nach einem Bericht des preußisch-königlichen Forstaufsehers Christoph wurden Gruben mit einer Tiefe von acht Fuß [ca. 2,40 m] ausgehoben. Die Toten wurden hineingelegt und mit Kalk bedeckt, um dem Ausbruch von Seuchen vorzubeugen. Ein normales Grab wurde im 19. Jhr. In der Regel mit einer Tiefe von ca. 1,40 m[vi] angelegt. Diese Tiefe wurde als ausreichend angesehen, um die Totenruhe zu gewährleisten und Seuchengefahren auszuschließen[vii]. Somit waren die Gruben in Berlin tiefer als üblich.
Von all den weiteren Lazaretten und Begräbnisstellen sind keine umfassenden Zeugnisse überliefert. Viel mehr sind nur Mosaiksteine bekannt, aus denen sich schwerlich die Ereignisse rekonstruieren lassen. Deshalb besitzt der Friedhofsteil am Columbiadamm einen hohen Aussage- und Erinnerungswert. Denn das Massengrab ist eindeutig nachgewiesen und legt damit Zeugnis über einen wichtigen Teil Berliner Geschichte ab. Es ist Gedenkort für den Wahnsinn des Krieges und gleichzeitig erinnert es an spontane uneigennützige Hilfs- und Opferbereitschaft. Es zeigt aber auch den geringen Stellenwert des „einfachen“ Soldaten an. So waren hier die „Namenlosen“ Soldaten verscharrt. Jahrzehnte lang erinnerte nichts an diese Grabstätte.
Der einzige Erinnerungsort an die Ereignisse wurde auf dem
heute als Kreuzberg bekannten Berg mit dem Schinkel-Denkmal errichtet. Die ursprüngliche
Vorstellung Schinkels vor dem Brandenburger Tor eine große Kirche zu errichten,
wurde damals schnell verworfen.