Der Anfang
Das Massengrab
Der Ursprung des Friedhofsclusters ist das Massengrab für die geschlagene französische „Grand Armee“, die Russland überfiel und den in den Schlachten von Großbeeren bis Dennewitz verwundeten Soldaten, die in Berliner Lazaretten verstarben. Es gibt einen Bericht von Ludwig Rellstab über den Einzug der aus Russland kommenden geschlagenen französischen Armee ein Jahr zuvor. Er zeigt das Elend der verletzten Soldaten nach einer Schlacht.
„Der Anblick der Unglücklichen war grausen-erregend, und selbst die aufathmende Freude über das Ereignis im Großen mußte in solchen Augenblicken dem Eindruck weichen, den das namenlose Elend hervorbrachte, das die unschuldigen Einzelnen, die Opfer der Unersättlichkeit des Führers [gemeint ist Napoleon], erduldet hatten, und noch erduldeten. Erbarmen trat an Stelle des Hasses. Oefters habe ich gesehen, wenn die mit Stroh gefüllten Bauerwagen, auf denen gräßlich entstellten Unglücklichen lagen, irgendwo anhalten mußten, weil in der Enge der Straße eine Stopfung der Fuhrwerke entstand, wie die Hausbewohner mit Erqickungen, Kleidungsstücken, wärmenden Getränken herbeieilten, um die halb erstarrten Opfer zu beleben, durch Bouillon, Kaffee, oder was eben zur Hand war, oder sie mit Geld unterstützten. Entsetzlich war der Geruch, den diese Transporte verbreiteten. Die faulig-eiternden, vielleicht brandig gewordenen Wunden hauchten einen wahren Pestdunst aus, der in der scharfen kalten Luft um so weiter getragen, umso widriger empfunden wurde. Ein Grausen durchrieselte Alle, die solcher Scene beiwohnten.“
[i]
[i] aus: Karl-Robert Schütze, S. 13f, nach Adolf Streckfuß, 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt, Berlin 1886, S. 676
Ein Veteran schildert 30 Jahre später in einem Bericht über seine Verwundung in der Schlacht von Hagelberg und seinen Weg in die Berliner Lazarette. Dieser Bericht ist einer der wenig überlieferten Augenzeugenberichte aus Sicht des einfachen Soldaten. Er spiegelt einen Aspekt vom Leid des Krieges wider.
In seinem Bericht beschreibt dieser Soldat, wie er in einem Gefecht angeschossen wurde. Lesen wir das Original:
Ein französischer Tirailleur hatte mir hinter einem Baum hervor durch den Schenkel dicht über dem Knie geschossen, und wie die Kugel, mit jenem häßlichen Laut, den die Verwundeten sich recht gut erinnern werden, sich Quartier in meinem Fleische genommen, – quatsch, klingt es beinahe, – da war es vorbei mit dem Heldenmuthe und mit dem Wunsche , den Feind an den Leib zu kommen.
[i]
[i] Der Soldatenfreund, Jhg. 10, Nr. 513, S. 5139
Mit dieser nicht mehr vorhandenen heldenmütigen Kampfeslust, die ständig propagiert wurde, geht der Bericht damit weiter, dass seine Sachen von den vorrückenden Franzosen geplündert wurden und man ihn liegen ließ. Auch hier soll das Original für sich sprechen.
„Wie einem Verwundeten zu Muthe ist, wenn er das Kriegsgetümmel sich entfernen sieht und wenn das Kehrt dabei auf Seiten der Landsleute und Kameraden ist, wenn er hülflos und allein liegen bleibt, wenn sich keine lebend Seele um ihn kümmert, wenn der Wind so gleichgültig in dem Bäumen rauscht, als ob gar nichts daran gelegen wäre, wie hier ein Mensch verkümmert und elendiglich umkommt, das kann nur der wissen, der selbst einmal so dagelegen, also jeder Lazarethfinke.
[i]
[i] s. Anm. 3. Als „Lazarethfinken“ werden die verwundeten Soldaten in den Lazaretten bezeichnet. Dazu ebenfalls in „Der Soldatenfreund“ mehrere Artikel.
Nach den Kampfhandlungen am Abend kamen die Bauern aus den
umliegenden Dörfern und plünderten die Toten. Diese Zeitzeugenberichte stehen
deutlich im Widerspruch zu den heroischen Berichterstattungen und Betrachtungen
der zeitgenössischen Presse und zumeist adligen Buchautoren, die ein
einseitiges Bild entwarfen. Liest man die Berliner Zeitungen[i]
und die in den darauffolgenden Jahren erschienen Publikationen über die
Befreiungskriege, dann werden die Leistungen der Offiziere individuell
gewürdigt. Die Landwehr, zusammengesetzt aus dem einfachen Volk, wird als Masse
wahrgenommen. Dabei wird zwar seine kämpferische Leistung hervorgehoben. Ein
Gesicht bekommt diese Masse jedoch nicht. Überlieferungen, wie oben erwähnt,
sind kaum bekannt. Werden Todesanzeigen veröffentlicht, sind es immer adlige
Offiziere, die genannt werden.
Werden im Bericht des verwundeten Soldaten die Bauern genannt, wird Ihnen eine negative Rolle zugewiesen. Sie werden in die Nähe von Leichenfledderer gestellt, in dem sie zuerst verwertbares vom Schlachtfeld suchen. Erst anschließend kümmert man sich um die Verwundeten.
Nach der Rettung unseres Berichterstatters auf dem Schlachtfeld, beschreibt er die Überführung nach Berlin über Belzig. Man muss sich vorstellen, dass unserem Augenzeugen vor über 24 Stunden eine Kugel ins Bein geschossen wurde. Er erlitt dabei einen entsprechenden Blutverlust und war entkräftet. Die Wunde war mit nicht viel mehr als Wasser gewaschen und einfach bandagiert worden. So versorgt, wurden die verwundeten Soldaten auf Bauernkarren gelegt und über holprige und sandige Feldwege gefahren. Die Verwundeten waren der Sonne schutzlos ausgeliefert. Die medizinische Versorgung und Pflege war mangelhaft. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. Die Verpflegung bestand aus Wasser und ein wenig zu Essen. Nach zwei Tagen erreichte der Tross von Verwundeten Berlin. Durch die Kämpfe in Groß-Beeren war das Lazarett vor dem Schlesischen Tor überfüllt, deshalb wurden die Verwundeten auf den Dönhoffschen Platz gefahren. Hier mussten sie stundenlang warten, bis eine Verteilung auf freie Lazarettplätze erfolgte. Der Augenzeuge berichtet von sehr hilfreichen Berliner Bürgern, die sogar ihre Sofas aus den Wohnungen brachten, damit die Verwundeten sich bequemer lagern konnten.
Unter diesen Umständen musste mit einer hohen Zahl von Toten
unter den Verwundeten gerechnet werden. Die Anzahl der Opfer wurde nicht
allgemein veröffentlicht. Zeitgenössische Quellen liegen heutzutage nur
vereinzelt vor. Clauswitz, der Berliner Stadtarchivar[i],
hatte 1924 die Höhe der Opfer mit 9.017 angegeben. Gleichzeitig benennt er vier
Begräbnisstellen im Süden von Berlin. Eine fünfte Stelle gibt er in der Nähe
der Pulvertürme an. Diese Stelle liegt im heutigen Bereich des Hauptbahnhofs.
Karl-Robert Schütze, Autor des umfassenden Werkes über den Friedhofscluster,
gibt die Zahl in seinem Werk von 1988 mit 8.832 Toten an. Als Begräbnisstellen
nennt er die Zahl von acht, ohne sie allerdings konkret anzugeben. Diese beiden
seriösen Angaben, von denen Clauswitz wahrscheinlich auf Dokumente
zurückgreifen konnte, die im 2. Weltkrieg möglicherweise verloren gegangen sind
und Schütze mit seiner akribischen Arbeit, liegen dicht bei einander, so dass
wir davon ausgehen können, dass diese Zahlen realistisch sind. Damit werden
auch die Opferzahlen die Clauswitz über die übrigen Begräbnisstellen, vor allem
die in der Hasenheide, glaubwürdig. So gibt er für das Gräberfeld 2.376 Opfer
an.